Arbeitsrechtliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
Ein “Betriebsübergang” liegt dann vor, wenn bei einer Betriebsveräußerung die Identität des Unternehmens erhalten bleibt. Als Folge eines solchen Betriebsübergangs tritt der Erwerber automatisch als neuer Arbeitgeber in sämtliche bestehende Arbeitsverhältnisse seines "Vorgängers" ein (§ 613a BGB).
Wann aber genau die Identität des Betriebs gewahrt wird, ist schwer zu bestimmen. Maßgebliche Kriterien können unter anderem die Übernahme von Räumlichkeiten, Geschäftstätigkeit, Betriebsmitteln und Personal sein.
In den meisten Fällen kommt es auf eine Einzelbetrachtung an. So kann eine Gaststätte unproblematisch als Betrieb übergehen; wird aber das Speisenangebot komplett verändert, so kann dies Auswirkungen auf die Betriebsidentität haben. Bei einem Wechsel etwa von einer gutbürgerlichen Gaststätte zu einer Sushi-Bar wird ein Betriebsübergang daher zu verneinen sein.
Ebenso wenig liegt ein Betriebsübergang vor, wenn zum Beispiel in einem Bewachungsunternehmen die Bewachungstätigkeit weitergeführt wird, ohne dass Personal oder Betriebsmittel übernommen werden.
Allerdings kann ein Betriebsübergang dann vorliegen, wenn in einem Betrieb die einzige wichtige Maschine - die das eigentliche Kapital des Unternehmens darstellt - verkauft wird. So wird der Betriebsübergang einer Druckerei zu bejahen sein, wenn diese Druckmaschine samt Papiervorräten veräußert wird.
Die Problematik eines Betriebsübergangs bei der Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern lässt sich recht gut an einem Beispiel aus dem Einzelhandel verdeutlichen:
Der Betreiber eines Kindermodegeschäfts X hat sechs Mitarbeiter und möchte zu einem "Kindermodecenter" expandieren. Er erwägt, hierfür eine größere Verkaufsfläche von der Firma Y anzumieten. Y hat dort bisher Herrenmode und Lebensmittel vertrieben und möchte ihr Geschäft aufgeben. Sie beschäftigt 30 Arbeitnehmer; davon sind 15 qualifizierte Fachkräfte im Verkaufsbereich und 15 ungelernte Aushilfskräfte. Um den zusätzlichen Personalbedarf zu decken, möchte X im geplanten "Kindermodecenter" zehn der qualifizierten Fachkräfte von Y anstellen.
Es stellt sich hier die Frage, ob die von Firma X geplante Weiterbeschäftigung von zehn qualifizierten Arbeitnehmern der Firma Y schon zu einem Betriebsübergang führt.
Die Rechtsprechung bejaht einen Betriebsübergang, wenn ein nach Zahl und Sachkunde wesentlicher Teil der Belegschaft in seiner bisherigen Funktion weiterbeschäftigt wird. Zu unterscheiden ist hier zwischen Betrieben mit hochqualifizierten Arbeitnehmern, die das “Know-how” verkörpern, und Betrieben mit nur minder qualifizierten Arbeitnehmern. Das Bundesarbeitsgericht hat zur Frage eines Betriebsübergangs für solche Betriebe Stellung genommen, in denen keine hohen Anforderungen an die Qualifikation der Arbeitnehmer gestellt werden und die ohnehin eine hohe Fluktuation von ungelernten Arbeitskräften haben (zum Beispiel Warenauslieferung und Möbelmontage). Bei einem Hol- und Bringdienst wurde entschieden, dass die Weiterbeschäftigung von 75% des früheren unqualifizierten Auslieferpersonals nicht ausreiche, um eine Übernahme der Hauptbelegschaft und damit des Betriebs zu bejahen.
Rechtsprechung, die eindeutig zulässige Übernahmequoten für qualifiziertes Fachpersonal festlegt, gibt es hingegen nicht. Nach der herrschenden Meinung im wissenschaftlichen Schrifttum wird ein Betriebsübergang bejaht, wenn der neue Betreiber eines Geschäfts die Fachkenntnisse der Mitarbeiter in der bisherigen Weise nutzt und noch andere Faktoren hinzukommen. Je wichtiger hierbei die eingearbeiteten Mitarbeiter für den Betrieb sind, desto schneller kommt man zur Annahme eines Betriebsübergangs.
Geht man von der Überlegung aus, dass ein gutes Textilfachgeschäft auf eingearbeitete versierte Verkäufer angewiesen ist, so muss man hinsichtlich der Firma Y zwischen den qualifizierten Mitarbeitern und den ungelernten Aushilfskräften unterscheiden. Wenn Firma X - wie geplant - von den 15 Fachkräften der Firma Y zehn weiterbeschäftigen möchte, so sind das zwei Drittel des Fachpersonals. Der Nutzen für die Firma X liegt hierbei auf der Hand: Ein Fachverkäufer für Herrenmoden wird sich schnell auf den Verkauf von Kindermoden umstellen können und somit sein bereits erworbenes Wissen und seine Erfahrung im neuen Tätigkeitsbereich gewinnbringend einsetzen.
Nach den genannten Kriterien dürfte hier ein Betriebsübergang zu bejahen sein, noch dazu, wo Firma X die Verkaufsfläche der Firma Y nutzen will, was ein weiteres Kriterium für einen Betriebsübergang ist.
Es lässt sich nicht genau sagen, wie viele Fachkräfte die Firma X übernehmen dürfte, um "im sicheren Bereich" zu sein, also einen Betriebsübergang definitiv ausschließen zu können. Firma X sollte jedenfalls vermeiden, einen "überwiegenden Teil" der Fachkräfte zu übernehmen. Somit ist der Firma X anzuraten, nur fünf bis höchstens sieben von den insgesamt 15 bei Firma Y angestellten Fachverkäufern weiter zu beschäftigen, da X bei einem Betriebsübergang ansonsten grundsätzlich alle 30 Arbeitsverhältnisse übernehmen müsste.
Was passiert, wenn im Beispielsfall ein Betriebsübergang tatsächlich vorliegt?
Dann darf die Firma X als neuer Arbeitgeber der 30 Beschäftigten der ehemaligen Firma Y den neuen Arbeitnehmern nicht wegen des Betriebsübergangs kündigen. Allerdings sind Kündigungen aus anderen Gründen, etwa wegen groben Fehlverhaltens eines Arbeitnehmers, jederzeit möglich. Der neue Arbeitgeber X kann auch weiterhin betriebsbedingte Kündigungen aussprechen, so etwa wegen dringend erforderlicher Rationalisierungsmaßnahmen. X muss also nicht sehenden Auges seinen Ruin herbeiführen, wenn er die Löhne der unerwartet übergegangenen neuen Arbeitnehmer nicht bezahlen kann. Allerdings ergeben sich hier enorme Abgrenzungsschwierigkeiten zur verbotenen Kündigung wegen des Betriebsübergangs selbst, so dass vor Aussprache einer Kündigung anwaltlicher Rat eingeholt werden sollte.
Merke: Die Kündigung eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber aus Anlass des Betriebsübergangs ist unwirksam.
Unterrichtungspflichten vor Betriebsübergang
Vor dem Betriebsübergang muss der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber jeden einzelnen betroffenen Arbeitnehmer über den Zeitpunkt des Übergangs informieren, ferner über den Grund für den Übergang. Hinsichtlich des Grundes ist der Unterrichtungspflicht nur dann Genüge getan, wenn der neue Inhaber des Betriebes zweifelsfrei identifiziert werden kann. Darüber hinaus müssen die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer über die für sie eintretenden rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs sowie über die für sie vorgesehenen Maßnahmen informiert werden.
Dazu gehören beispielsweise Weiterbildungsmaßnahmen im Zusammenhang mit geplanten Produktionsumstellungen oder Umstrukturierungen sowie andere Maßnahmen, die eine berufliche Entwicklung des Arbeitnehmers betreffen. Die Unterrichtung muss schriftlich erfolgen, damit der Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, die für ihn neuen und nicht sofort überschaubaren Informationen nachzulesen, sich weitergehend zu erkundigen und gegebenenfalls beraten zu lassen. Auf dieser Grundlage soll der Arbeitnehmer dann entscheiden, ob er dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprechen will oder nicht.
Das Gesetz sieht für die Unterrichtung der Arbeitnehmer die Schriftform vor. Dieser Verpflichtung genügt der Betriebsveräußerer nicht, wenn er über den bevorstehenden Betriebsübergang am Schwarzen Brett oder bei einer Betriebsversammlung informiert. Schriftform heißt an dieser Stelle vielmehr, dass jeder einzelne Arbeitnehmer ein persönliches, an ihn adressiertes Schreiben erhält. Der Arbeitgeber muss den Zugang der Unterrichtung an jeden einzelnen Arbeitnehmer nachweisen. Er sollte sich daher den Empfang unbedingt schriftlich bestätigen lassen.
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers
Wenn ein Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widerspricht, geht das Arbeitsverhältnis nicht automatisch auf den neuen Inhaber über. Der Widerspruch muss gemäß § 613 a Abs. 6 BGB innerhalb eines Monats schriftlich erklärt werden, nachdem er über den Betriebsübergang informiert worden ist. Der Widerspruch kann sowohl gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber als auch gegenüber dem neuen Inhaber erklärt werden. Falls der bisherige Arbeitgeber nunmehr aber über keinerlei Beschäftigungsmöglichkeiten mehr verfügt, geht der Arbeitnehmer das Risiko einer betriebsbedingten Kündigung ein.
Fazit
Wer erwägt, seinen Betrieb zu veräußern oder umgekehrt einen Betrieb zu erwerben, sollte sich nicht nur um Finanzierung und Steueroptimierung kümmern, sondern sich der arbeitsrechtlichen Konsequenzen voll bewusst sein.Gerade Einzelhändler sollten hierbei beachten, dass ein Betriebsübergang mit der Folge des Übergangs aller Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber auch schon dann vorliegen kann, wenn ein wichtiger Teil der Belegschaft weiterbeschäftigt wird. Im Zweifel wird für solche Fälle daher dringend empfohlen, sich anwaltlich beraten zu lassen.